Links ein quadratisches Bild mit grünlichem Hintergrund und einem zugeschnittenen Portrait von Michaela Pries in der Mitte. Darunter der Titel "Wie geht´s Schleswig-Holstein - Michaela Pries (Landesbehindertenbeauftragte aus Schleswig-Holstein) im Interview. Rechts daneben ein ergänzter Text "Im Interview mit dem "Inklusator" Sascha Lang. Transkript zum "IGEL"-Podcast.

12. November 2024

Transkript zum "IGEL"-Podcast

Sascha Lang interviewt im Rahmen seines Podcasts "IGEL - Inklusion Ganz Einfach Leben" alle Landesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen und hatte am 3. November Michaela Pries zu Gast. Wir bieten hier ein Transkript zum Podcast an. Dazu geben wir Zeitstempel für den jeweiligen Wechsel der Sprechenden Person. Einen Link zum Nachhören des Podcasts finden Sie im Beitrag.

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Zur Webseite von Sascha Lang

00:00:00 Männliche Stimme

Hallo, du siehst mich nicht, weil ich im Radio bin und ich sehe dich nicht, weil ich blind bin. Meine Blindheit ist nicht das Problem. Mein Problem ist Non24, eine seltene Erkrankung, die etwa die Hälfte der völlig blinden Menschen ohne Lichtwahrnehmung betrifft. Ich habe Schwierigkeiten, tagsüber wach zu bleiben, weil ich nachts nicht durchschlafen kann. Dadurch bin ich unkonzentriert und kann nicht mithalten. Kommt dir das bekannt vor? Du bist damit nicht alleine. Das ist keine Schlafstörung. Es ist Non24. Erfahre mehr über deine Symptome in Verbindung mit völliger Erblindung. Rufe kostenfrei an unter 0800 24 24 001.

00:00:39 Männliche Stimme

Igel. Inklusion. Ganz einfach leben.Der Podcast für gelebte Inklusion. Mit eurem Inklusator ... Sascha Lang. Es ist der 3. November 2024 und es ist Zeit für die 3. Ausgabe unserer Serie Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen im Gespräch.

00:01:14 Sascha Lang

Und heute sind wir in meiner 2. Heimat, nämlich in Schleswig-Holstein. Und ich hatte die wundervolle Landesbehindertenbeauftragte Michaela Pries im Gespräch. Und wir haben natürlich über die Situation der Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein gesprochen, Aber auch über die Nichterfüllung der Koalitionsvereinbarung, zum Beispiel in puncto Blindengeld. Alles das, was wir heute hören, ist brandaktuell und deshalb wünsche ich gute Unterhaltung bei dieser Ausgabe mit der Landesbeauftragten aus Schleswig-Holstein, Michaela Priess.

00:01:51 Stimme

Landesbeauftragte für die Belange der Menschen mit Behinderungen im Gespräch Eine Rubrik des IGL-Podcasts.

00:02:11 Sascha Lang

Inklusion ganz einfach leben - ein Podcast für gelebte Inklusion. Ihr habt es schon bereits mitbekommen: Die Rubrik „Landesbehindertenbeauftragte im Gespräch“. Und heute sind wir in Schleswig-Holstein. Deshalb einen Gruß heraus nach Kiel von Bad Segeberg, weil da sitze ich gerade zum Aufzeichnen an Michaela Pries.Schön, dass du dabei bist.

00:02:29 Michaela Pries

Ja, ganz herzlichen Dank, Sascha. Vielen Dank für die Gelegenheit, mit dir zu sprechen zu ganz wichtigen Themen.

00:02:36 Sascha Lang

Ja, wir haben uns, wir duzen uns im Normalen. Deshalb bleibe ich dann auch jetzt beim Du beim Podcast. Ich hoffe, das ist für alle Zuhörer und für dich auch okay.

00:02:43 Michaela Pries

Ja, total gerne. Sehr gut, wir haben uns schon ein paar Mal getroffen.

00:02:47 Sascha Lang

Ja, Michaela, ich fange immer an, so die erste ganz normale Frage, weil das ja von Bundesland zu Bundesland immer so variabel ist. Wo bist du denn als Landesbehindertenbeauftragte angesiedelt? Also wem unterstehst du, wie abhängig/unabhängig bist du?

00:03:03 Michaela Pries

Ja, also ich bin zugehörig zum Schleswig-Holsteinischen Landtag. Das heißt, die Landtagspräsidentin ist organisatorisch meine - ja, die Stelle, der ich organisatorisch zugeordnet bin. Ich bin für sechs Jahre von den Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags gewählt und bin jetzt seit dreieinhalb Jahren, ja, gar nicht mehr so neu, aber für mich dennoch gefühlt immer noch neu im Amt, und im Unterschied zu anderen Bundesländern bin ich also weder einem Ministerium zugeordnet, noch bin ich abhängig von der Legislaturperiode, also der Amtszeit der Landtagsabgeordneten in Schleswig-Holstein. Und das hat man bewusst so gemacht, dass man diese Wahlzeit ein bisschen versetzt hat, um eben diesen Automatismus nicht zu haben, dass mit jeder neuen Landtagswahl dann auch das Amt der Beauftragten dann zur Wahl steht. Insofern, ja, ich habe jetzt noch knapp drei Jahre und bin gespannt, was die Jahre noch so bringen.

00:04:15 Sascha Lang

Und dass das verlängert werden kann, haben wir dann einen Vorgänger mitbekommen. Ich glaube, der war ganz lange dabei, der Herr Hase, ne?

00:04:20 Michaela Pries

Ja, der Uli Hase, ich nenne ihn gerne "The One and Only", also den Ersten und Einzigen. Der hat dieses Amt 26 Jahre ausgeübt, hat da ganz wesentliche Grundlagen auch geschaffen für die Arbeit. Und ja, der ist dann in den Ruhestand gegangen. Wohlverdient muss man an dieser Stelle auch sagen. Und ich bin die Nachfolgerin.

00:04:44 Sascha Lang

Wie geht es denn den Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein? Mal ganz grob gefragt. Wir gehen noch in die Details, aber so, wenn man so ganz pauschal fragen würde: wie geht es denn den Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein?

00:04:57 Michaela Pries

Das ist natürlich eine globale Frage. Also es ist - glaube ich - individuell, so, wie wir Menschen alle sehr unterschiedlich sind, auch mit Blick auf Menschen, die mit einer Behinderung leben in Schleswig-Holstein, sehr unterschiedlich. Und das ist natürlich dann schwierig, das so "en gros", sage ich mal, zu beurteilen. Was ich besonders auffällig finde - und das ist sehr sichtbar - dass die Menschen mit Behinderungen ihre Rechte zunehmend besser kennen und diese auch einfordern. Das heißt also, Selbstvertretungen werden immer stärker, das Thema ist immer präsenter. Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen, in unterschiedlichen Lebensphasen - ob jetzt als Angehörige oder auch als Menschen, die selber dann eben behindert werden - ist das Thema viel sichtbarer, viel spürbarer, viel hörbarer - insbesondere bei öffentlichen Stellen, Systemen wie zum Beispiel auch Thema Bildung und Schule. Und insofern glaube ich, auch wenn es vielleicht jetzt zunächst mal gar nicht die individuelle Lebensqualität bewerten kann, das ist jetzt viel besser oder viel schlechter als früher, glaube ich, ist das schon auf alle Fälle eine deutliche Veränderung und die finde ich sehr positiv.

00:06:20 Sascha Lang

Eine der größten Herausforderungen, die wir haben, ist die schulische Inklusion, auch in Schleswig-Holstein. Wie steht es denn mit dieser schulischen Inklusion für unsere Kinder? Wir haben schon im Vorfeld ein bisschen über meine eigene Story mit meiner Tochter jetzt gesprochen. Also, das ist ein Thema, was uns immer wieder verfolgt. Und wo siehst du die Herausforderung für die Zukunft, was die schulische Inklusion anbelangt?

00:06:45 Michaela Pries

Schulische Inklusion, um sagen zu können ... wir hören ja in Schleswig-Holstein aus unterschiedlichen Bereichen immer wieder, schulische Inklusion in Schleswig-Holstein sei gescheitert. Ich sage mal, schulische Inklusion als gescheitert zu bezeichnen, wenn sie überhaupt noch gar nicht stattgefunden hat - und das ist faktisch der Stand in Schleswig-Holstein, dass wir schulische Inklusion überhaupt noch nicht umgesetzt haben - ja, das ist dann natürlich schwierig und das scheitert bei uns, glaube ich, an sehr unterschiedlichen Dingen. Zunächst mal - und das bezieht sich auf alle anderen Lebensbereiche gleichermaßen - ist das größte Problem, glaube ich, in den Köpfen immer noch. Schulische Inklusion hat immer noch so einen schlechten Touch, insbesondere auch bei Lehrkräften, die das Gefühl haben, dem Bedarf, der da an sie herangetragen wird, auch gar nicht gerecht werden zu können. Egal, was sie versuchen, wie sie sich fortbilden, wie sie sich bemühen, weil sie sagen, die Rahmenbedingungen, um das wirklich leben zu können an Schulen, stimmen nicht. Und so schauen wir auf unterschiedliche Akteurinnen und Akteure, die in der Schule eben sich bewegen. Wir haben in Schleswig-Holstein vor einigen Jahren - da sind wir in Deutschland sehr prominent immer beworben worden - wir hätten so eine hohe Inklusionsquote in Schleswig-Holstein.

Das heißt also, wenig Schülerinnen und Schüler empfehlen es zu anderen Bundesländern, die in Förderschulen unterrichtet werden. Die Frage, die damit nie verbunden war oder wenig verbunden war, sage ich mal gar nicht, will ich nicht sagen, aber wenig verbunden war, war die Qualität. Was passiert denn eigentlich im Rahmen dieser hohen Inklusionsquote an den Schulen? Wie geht es Schülerinnen und Schüler damit? Haben wir eigentlich gute Bildungsbiografien? Haben wir gute Erlebnisse für alle Beteiligten an den Schulen? Wie geht es den Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung an den Schulen? Und da müssen wir sagen, das war nicht so erfolgreich, wie es die Zahlen zunächst scheinen lassen. Und ich glaube, das System Schule in Schleswig-Holstein ist nach wie vor, wie gesagt, hat die Bedingungen noch nicht angepasst, sodass es möglich ist. Das beginnt bei einer räumlichen, baulichen Barrierefreiheit.

00:09:18 Michaela Pries

Wir haben teilweise alte Schulgebäude, keine angepassten Räumlichkeiten. Das beginnt mit Fragen von Akustik, von Treppen, von Toilettenanlagen, von separaten Räumen für binnendifferenzierte Möglichkeiten, Ruhemöglichkeiten. Ein bisschen zur Frage auch multiprofessioneller Teams, also wer muss eigentlich alles im System Schule vor Ort auf Augenhöhe miteinander arbeiten, um individuell alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützen zu können und fördern zu können. Und davon sind wir noch ziemlich weit entfernt, auch wenn ich erkenne, dass es in Schleswig-Holstein Bemühungen in diese Richtung gibt.

00:10:09 Sascha Lang

Ich stelle fest, dass es sehr individuell immer ist. Also, ich habe so auch dann meine Vergleiche mit den Schulen und das hängt wirklich da auch ganz viel vom Personal ab. Das dürfte es ja im Prinzip nicht sein. Es müsste ja sein, dass die Kinder in jeder Schule jede Möglichkeiten, also die gleichen Möglichkeiten haben. Das ist aber in meiner Wahrnehmung jetzt im Kreis Segeberg definitiv nicht der Fall.

00:10:29 Michaela Pries

Das kann ich bestätigen und durch die Anfragen, die an meine Kolleginnen und Kollegen und mich gerichtet werden, die meistens in Problemlagen dann bestehen, kann ich das absolut bestätigen. Wir haben regional sehr große Unterschiede und es steht und fällt eben mit engagierten Menschen vor Ort, die wirklich versuchen, Lösungen zu finden und gute Wege gemeinsam zu finden und sich da nicht verweigern. Was wir auch - wenn ich das einmal noch ergänzen darf, entschuldige - was wir natürlich auch feststellen, die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Förderzentren nimmt einfach auch aktuell wieder zu. Also es widerspricht zahlenmäßig komplett dem, was wir auch durch den Staatenbericht zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Schleswig-Holstein, was wir da als Hausaufgaben sozusagen selber mitbekommen haben.

00:11:32 Sascha Lang

Eines der Problemfälle ist auch das Budget für Arbeit. Menschen mit Behinderungen, 0,33 Prozent der Menschen in Werkstätten landen - und du sagst ja, Förderzentren gewinnen an mehr Schülern, das heißt, deren Weg ist leider schon fast prädestiniert für eine Werkstatt - nur 0,33 Prozent der Menschen gelangen danach in den ersten Arbeitsmarkt. Das sind Zahlen, die jetzt nicht so ganz alt sind. Wie ist es denn in Schleswig-Holstein mit diesem Budget für Arbeit, was ja an sich gedacht war, um Menschen zu unterstützen, aus diesen Werkstätten rauszukommen und dann in die normale ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Und dann gibt es ja auch noch das Phänomen der Inklusionsbetriebe, die ich auch für sehr speziell halte. Wie sieht das aus?

00:12:15 Michaela Pries

Auch hier folgen wir letztlich einem Bundestrend. Also das Budget für Arbeit wird in Schleswig-Holstein kaum genutzt. Das ist wenig bekannt, obwohl es unterschiedliche Maßnahmen gegeben hat, um das einfach zu bewerben auch als Instrument. Das muss man leider so feststellen. Es gibt aktuell große Fragezeichen, warum das so ist. Ich habe als Landesbeauftragte dieses Thema mit auf meine Agenda auch gesetzt - Thema inklusive Arbeitsmarktübergänge schaffen und so weiter - und die Landesregierung beziehungsweise die Sozialministerin hat dieses Thema jetzt zunächst einmal aufgenommen. Wir müssen noch mal abwarten. Das ist ein laufender Prozess, wie sich das entwickeln wird. Sie hat einen Start gemacht mit mehr sogenannten „Mehr-Chancen-Konferenzen“. Wo man darauf geschaut hat und jetzt soll es regional eben weitere Konferenzen, sogenannte Real-Labore und so weiter geben, um mal zu schauen, wie ist es denn in den Landesteilen Schleswig-Holsteins, wo sind die Knackpunkte, um die Situation zu verbessern. Und als Beauftragte der Länder befassen wir uns ja auf unseren regelmäßigen Treffen auch mit so zentralen Fragestellungen und wir haben zum Beispiel zum Thema inklusive Arbeitsmarkt gemeinsam auch eine Erklärung veröffentlicht, die sogenannte „Erfurter Erklärung“, die also an der einen oder anderen Stelle auch für ein bisschen Aufregung gesorgt hat, wo wir schon recht deutlich auch unsere Forderungen noch einmal formuliert haben, was aus unserer Sicht auf den unterschiedlichen Ebenen im Bund, in den Ländern, aber auch kommunal von der Bundesagentur und so weiter letztlich zu tun ist, um dann wirklich auch einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen. Und wir müssen die Werkstätten natürlich auch nicht nur ertüchtigen, sondern auch ein bisschen, naja, ich glaube auch ein bisschen mehr noch pushen, damit sie ihrem eigentlichen Auftrag auch wirklich gerecht werden. Denn das müssen wir ja auch feststellen, dass es bisher tatsächlich sind die Vermittlungsquoten weit weg von dem, was eigentlich der Auftrag auch von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen wäre. Die kommen ja dem im Grunde nicht nach. Und auch hier haben wir so wahnsinnig viele Schnittstellen, dass ich glaube, eine besondere Bedeutung kommt da einfach auch dem Bund zu, die Reformen nochmal wirklich intensiv voranzutreiben. Wir können da bisher allerdings wenig erkennen, dass da wirklich was passiert.
Und ja, ist nicht zu verstehen, weil einfach mal abgesehen vom Recht auf Arbeit und Teilhabe am Arbeitsleben, sind auch Menschen, die behindert werden, eine „Arbeitsmarktreserve“, wie man so schön sagt. Also Menschen, die wir auf dem Arbeitsmarkt eigentlich auch dringend bräuchten. Und wenn wir sehen, wie viele dann eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und so weiter, die wirklich hochqualifiziert sind, die wir aber einfach nicht auf den Arbeitsmarkt so bekommen, da fragt man sich schon, woran es denn letztlich hakt. Und bei diesem Thema waren wir auch schon zu Beginn: Es fängt auch in den Köpfen an. Welches Bild haben auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber von Menschen, die behindert werden?

00:15:58 Sascha Lang

Und das Problem ist ja auch, dass man ziemlich früh schon auch vom System aufs Abstellgleis gesetzt wird, wenn man nicht gerade ins Format passt. Also wenn man nicht zum Arbeitsplatz passt, wird man dann einfach in Rente gesetzt mit 40, mit 20, mit 25. 26 ist der Jüngste, den ich jetzt getroffen habe, der jetzt schon in der EU-Rente sitzt. Der hat wahrscheinlich noch keinen Tag richtig gearbeitet. Die Werkstatt ... der ist zu gut für die Werkstatt, aber auch nicht gut genug für den ersten Arbeitsmarkt. Und dann schicken wir ihn in Rente und der klamösert die nächsten 20, 25, 30, 40 Jahre, wartet er dann darauf, diese Welt hier zu verlassen. Das ist katastrophal.

00:16:35 Michaela Pries

Ja, und es beginnt ja schon viel früher, Thema Schule, Übergänge. Wie klassifizieren wir ja auch schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt Menschen? Und welche Förderbedarfe haben eigentlich welche Auswirkungen? Also lebenslanges Lernen gilt doch aus meiner festen Überzeugung für alle Menschen gleichermaßen. Und diese Chance ermöglichen wir ja kaum durch dieses Thema, wie wir sie derzeit leben. Und ich glaube, da fängt es schon an. Also da haben wir schon eine entscheidende Weichenstellung, die wir so nicht vornehmen sollten, wie wir es derzeit tun. Und das ist ein dickes Brett, egal mit wem man spricht, in verantwortlich, politisch verantwortlicher Rolle erklärt mir immer, dass da ein ganz dickes Brett zu bohren wäre und da würde ja so viel mit zusammenhängen. Und meine Standardantwort ist: ja, aber diese Regeln und Gesetze sind von Menschen gemacht und sie können von Menschen geändert werden, wenn man denn will. Also stellt sich die Frage, will man das wirklich und was wird angeführt an Begründung, warum man es nicht tut? Und das hinterlässt dann ja deutlich Fragezeichen, glaube ich, bei uns allen.

00:17:39 Sascha Lang

Ist denn ein Inklusionsbetrieb eine Lösung, eine Mischung aus Übergang oder ist das auch eine Mogelpackung?

00:17:47 Michaela Pries

Nein, ich möchte nicht Mogelpackung sagen. Ich glaube, Inklusionsbetriebe können ein Baustein auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sein, die eine inklusive Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen ermöglichen. Ich glaube, auch Inklusionsbetriebe müssen sich weiterentwickeln. Aus meiner Sicht und meiner Überzeugung sollten sie vielmehr noch Ort einer betrieblichen Ausbildung von Menschen, die behindert werden, sein. Und insbesondere für die Menschen, die eben besondere Schwierigkeiten haben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, passgenau jetzt sozusagen eine Beschäftigung zu finden. Und ich würde mir wünschen, dass sich da die Inklusionsbetriebe auch nochmal mit allen Weiteren, die dazugehören, nochmal weiterentwickeln, dass sie wirklich Orte werden, die auch eine Zwischenstation dann sind und nicht abschließend ein Inklusionsbetrieb ist da. Und damit ist man auch als beschäftigter Mensch, der behindert wird. Quasi gefangen im Inklusionsbetrieb und bleibt da, sondern dass man mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und Inklusionsbetrieben, mit den Beschäftigten selber und allen Systemen, die da zusammengehören, dass man sich da auf den Weg macht und das auch weiterentwickelt. Sie sind nicht - also aus meiner Sicht sind sie nicht die ideale Lösung, aber sie sind aktuell ein Baustein, ein wichtiger Baustein, der eben aber auch weiterentwickelt werden sollte.

00:19:41 Sascha Lang

Wir haben, was die Teilhabeassistenz anbelangt, alle Gesetze, die benötigt würden, um Teilhabeassistenz vernünftig umzusetzen. Allerdings stelle ich fest und wahrscheinlich auch du in deinem Alltag, dass das in der Praxis nicht so funktioniert. Viele langwierige Gerichtsverfahren wegen falscher Bedarfsermittlungen, viele Ablehnungen, viele Diskussionen. Gerade auch hier im Kreis Segeberg stelle ich immer wieder fest, dass da ganz vieles nicht so umgesetzt wird, wie der Gesetzgeber es verlangt. Auch da hängt es, scheitert es wieder an Menschen, die irgendwas nicht so verstanden haben oder nicht so umsetzen. Wie ist denn die Lage? Kriegst du da einiges mit? Also ich höre hier in Schleswig-Holstein im Kreis Segeberg von 10 bis 12 anhängigen Gerichtsverfahren, was ich desaströs und katastrophal halte. Wie ist dein Feedback? Was kriegst du im Büro da mit?

00:20:37 Michaela Pries

Das, was du wahrnimmst und beschreibst, das kann ich absolut bestätigen. Das betrifft nicht nur den Kreis Segeberg, sondern betrifft ganz Schleswig-Holstein. Die Schwierigkeit ist in der Tat, dass wir regional eine sehr unterschiedliche Leistungsgewährung haben, dass Prüfungen sehr aufwendig sind, dass Entscheidungen wenig transparent sind, dass auch bei festgestellten Bedarfen immer wieder neu wiederholt Anträge gestellt werden müssen, obwohl sich die Situation des Menschen ja nicht verändert hat. Ich bin dazu mit unterschiedlichen Stellen immer wieder in Kontakt, unter anderem natürlich auch zu der Frage, wie können wir durch verbindliche Vorgaben auch in den kommunalen Verwaltungen und in den Sozialverwaltungen, wie können wir dort auch für die Beschäftigten vor Ort, für die es ja auch teilweise schwierig ist, dann zu entscheiden, weil sie auch ihre Vorgaben haben und sie vielleicht auch fachlich gar nicht so gut befähigt sind und aufgestellt sind - ja, so möchte ich es mal formulieren. Ich glaube häufig, es mangelt vielleicht gar nicht am Willen, sondern auch an einer Hierarchie, die innerhalb von Verwaltungen dann existiert, von Quotierungen, von denen wir hören, was aber natürlich niemand offen zugibt. So als sein Mitarbeitende angehalten, Geld zu sparen, das ja gar nicht ihr Geld ist, sondern das Geld ist, das einfach den Menschen mit Blick auf Teilhabeleistung einfach auch zusteht. Also es sind ja keine Entscheidungen zu treffen, die jetzt ans persönliche Portemonnaie gehen würden. Das ist schon eine unzufriedenstellende Situation.

00:22:34 Sascha Lang

Inwiefern kann denn da die Politik noch was machen? Ich meine, das ist ja, wir reden ja gerade davon, dass wir die Gesetze haben, dass da in den Verwaltungen vielleicht Verordnungen genannt werden, die an sich gesetzes gegensätzlich sind, also gegen das Gesetz gehen. Wie kann denn da die Politik reagieren? Kommt das überhaupt bei der Politik an oder kriegt die Politik mit, dass da, ich sag jetzt mal, im Kreis Segeberg oder anderswo so viel Klagen laufen. Ist es denen egal? Setzen die das aus? Wie empfindest du das? Es kann doch nicht einfach so sein, dass die Politik das einfach so annimmt. Oder doch?

00:23:13 Michaela Pries

Ja, auch hier glaube ich, es ist schwierig, pauschal zu beantworten.Das ist ja immer die Schwierigkeit. Meine Aufgabe als Landesbeauftragte ist es ja unter anderem auch, die Landespolitik zu beraten. Und natürlich informiere ich die Landespolitik und natürlich informieren sich aber auch Politikerinnen und Politiker selber. Es werden entsprechende Anfragen auch zu Zahlen, laufenden Verfahren und so weiter gestellt. Also es wird sich schon damit befasst. Mein Eindruck ist allerdings, dass dieses gesamte Thema Teilhabe, Teilhabeassistenz, Umsetzung, Bundesteilhabegesetz, Landesrahmenvertrag, der entsprechend die Grundlagen schafft und zwar das ist ja hochkomplex. Es ist sehr fachlich, es ist hochkomplex. Wir schmücken es auch gerne, deswegen versuche ich das mal gerne ein bisschen einfacher alles auch zu formulieren. Wir schmücken es mit Fachbegriffen und das ist für Menschen, die sich damit bisher nie befasst haben, aus welchen Gründen auch immer, ob beruflich, privat oder aus ihrem Amt heraus, weil es eben ihr Fachbereich ist. Die Fachbereiche sind ja bei den Politikerinnen und Politikern ein bisschen auch aufgeteilt, es gibt fachpolitische Sprecherinnen und Sprecher. Ist es unheimlich schwer zu greifen, was dann jetzt der Punkt ist. Und wir sehen es insbesondere in Schleswig-Holstein aktuell, das ist ein schönes Beispiel bei der Frage Gebärdensprachdolmetschung im Arbeitsleben. Und wie wir jetzt eigentlich dazu kommen, dass gehörlose Menschen die erforderliche Unterstützung durch Gebärdensprachdolmetschung am Arbeitsplatz erhalten. Und es braucht die persönliche Begegnung in Formaten, die wir schaffen, auch Anhörungen, damit Abgeordnete überhaupt erstmal einen Eindruck bekommen von der Lebenswelt und von den Barrieren und von den Schwierigkeiten und was das in der Konsequenz eigentlich für diese Menschen bedeutet. Dann fangen sie an zu verstehen. Solange es auf dem Papier steht, ist es immer ein Vorgang. Es ist wie so eine Art Akte, das kommt auf wieder Vorlage und dann guckt man sich das vielleicht nochmal an oder auch nicht. Aber es braucht tatsächlich eine persönliche Begegnung und Berührung, weil es sonst einfach sehr abstrakt ist. Es wird nicht verstanden. Und was kann Politik jetzt genau tun? Das ist natürlich gerade in Schleswig-Holstein mit Blick auf die sogenannte kommunalisierte Eingliederungshilfe und andere Leistungen, die hier in Schleswig-Holstein eben in Verantwortung der Kommunen stattfinden. Das ist gar nicht so einfach. Also wir müssen an die, es braucht aus meiner Sicht eine Harmonisierung, die nicht nur von der Landesebene ausgehen kann, sondern auch mit Blick auf die anderen Bundesländer haben wir wirklich einen so bunten Teppich von Leistungsgewährung und Leistung, dass man manchmal denkt, man wohnt gar nicht in einem Land und es braucht. Das sind klare, verbindliche, sanktionsfähige Vorgaben für Verwaltungen, damit wir gar nicht erst in diese gefühlten Leistungsgewährung kommen. Ja, heute habe ich mal einen guten, also ich übertreibe es jetzt mal so, macht das natürlich niemand, aber heute bin ich dem Menschen mal zugeneigt und dann sage ich, na gut, dann bekommst du das an Unterstützung. Es geht hier um Menschenrechte. Also die müssen wir ja verlässlich und selbstverständlich umsetzen. Es darf kein Goodwill von irgendeiner Seite sein. Und diese Kernproblematik, die finden wir in allen Bereichen, dass Menschen, die behindert werden, ja immer noch sich vorkommen, als wären sie Täter, weil sie zu Recht etwas einfordern und dafür aber von anderen dann quasi an den Pranger gestiegen. Wann weißt du eigentlich, was das bedeutet? Weißt du, was das kostet? Weißt du, was das für ein Aufwand ist? Also Menschen, die behindert werden, sind ja eigentlich immer mit der Situation konfrontiert, dass sie Probleme machen, dass sie Ärger machen, dass sie Aufwand bedeuten. Und bei vielen im Gespräch, ich eben höre, dass sie das so leid sind und dass es aber auch Menschen gibt, die sich dadurch sogar dann auch noch schuldig fühlen, weil sie ihre Rechte einfordern. Ja, also da sind wir noch weit weg von UN-BRK und allem, worüber wir immer sprechen und Inklusion und wie wir diese Schere zukriegen. Ja, ich glaube nur wirklich immer wieder durch Menschen zusammenbringen, durch Erklären, aber auch letztlich durch scharfe Sanktionierungen, wenn Rechte missachtet werden. Und an denen fehlt es komplett.

00:28:25 Sascha Lang

Menschen zusammenbringen oder was es bedeutet, wenn man so ein geringes Blindengeld erhält wie in Schleswig-Holstein, kein Seebehindertengeld, kein Gehörlosengeld und so weiter. Schleswig-Holstein ist übrigens letztplatziert mittlerweile, was das Blindengeld anbelangt. Und dabei hat die letzte Regierung, die jetzt gerade aktiv ist, in ihrem Koalitionsvertrag großartig vertönt, dass sie was dagegen tun will und das Blindgeld erhöhen würde. Liebe Michaela, wir sind Oktober 2024. Ich glaube, zwei Jahre ist die Regierung jetzt im Amt, wenn ich mich richtig entsinne. Und passiert ist scheinbar nichts.

00:29.04 Michaela Pries

Ja, es gab Anhörungen. Ich habe unterstützt, ich habe entsprechende Stellungnahmen abgegeben. Es befindet sich nach wie vor im parlamentarischen Verfahren. Unsere Sozialministerin Aminata Touré hat gesagt, sie setzt sich ein für eine Erhöhung des Landesblindengeldes und würde das also der Politik vorschlagen. Und sie würde zudem sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass es bundesweit einheitliche Sätze gibt, wo das in Berlin mittlerweile rumwabert, ob das da überhaupt wirklich angekommen ist. Ich weiß es nicht. Ich finde es unerträglich. Alle Argumente sind gehört. Wir hören von allen. Natürlich ist das berechtigt. Natürlich brauchen wir andere, muss das anders finanziert werden. Natürlich haben auch sinnesbeeinträchtigte Menschen in Schleswig-Holstein das gleiche Recht wie alle anderen, aber es passiert faktisch nicht, es wird nicht entschieden. Und wir wissen natürlich, wie der Landeshaushalt aussieht und dass Mehrkosten vermieden werden sollen. Aber ja, als Beauftragte habe ich da natürlich eine klare Haltung zu und ich finde es einfach auch unanständig, dann letztlich nicht zu entscheiden, sondern es quasi auszusitzen und dazu keinem Ergebnis zu kommen. Also teile ich absolut auch die Empörung derer, die da Unverständnis zeigen.

00:30:35 Sascha Lang

Das heißt, wir sind noch keinen Schritt weiter und es gibt auch keine guten News?

00:30:39 Michaela Pries

Bisher nicht, nein. Außer Absichtserklärungen, wie sie auch im Koalitionsvertrag stehen und wie sie auch bisher immer wieder verkündet wurden. Es gibt Absichtserklärungen, aber es gibt keine Entscheidung, keine abschließende Entscheidung.

00:30:55 Sascha Lang

Dann kommen wir lieber zu einem anderen Thema, wo es vielleicht ein bisschen mehr Bewegung gibt, weil ich stelle fest, dass der Gedanke an die Barrierefreiheit, sowohl der Gebäude des öffentlichen Raums, aber auch die digitale Barrierefreiheit, da bewegt sich einiges für den einen oder anderen immer noch schleppend, aber es passiert ein bisschen was. Wie ist dein Gefühl zum Thema Barrierefreiheit in Schleswig-Holstein? Da ist doch aber gut, die schlechteste Kreuzung vom DBSV nominiert, liegt auch in Flensburg eine davon.Aber trotzdem gibt es Anstrengungen, es besser zu machen.

00:31:30 Michaela Pries

Ja, das ist wirklich mal was Erfreuliches und ganz so dramatisch, wie unsere Themen vorher vielleicht jetzt angeklungen sind. Natürlich schaue ich als Beauftragte auch immer mal auf das, was nicht so gut funktioniert und wo ich mir Verbesserungen wünsche. Thema Barrierefreiheit: Das Land hat mit dem Fonds für Barrierefreiheit in den letzten Jahren über 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Barrierefreiheit, die Herstellung von Barrierefreiheit zu unterstützen. Das finde ich schon mal sehr positiv. Das Thema ist tatsächlich viel präsenter geworden. Barrierefreiheit auch nicht nur im Baulichen, sondern auch zum Thema digitale Barrierefreiheit. Bei mir als Beauftragter ist ja auch die Beschwerdestelle zur digitalen Barrierefreiheit öffentlicher Stellen angesiedelt. Und ich stelle fest, dass der Kollege zunehmend auch mit öffentlichen Stellenverwaltungen vom Landesamt für soziale Dienste bis hin zur Kommunalverwaltung und aber auch Ministerien wirklich angefragt wird und auch konkret unterstützen kann, wenn es um Webseiten, Dokumentenerstellung und so weiter geht. Das finde ich sehr positiv, dass ich sehe, dass die Barriere, das auch abzufragen bei uns, offensichtlich geringer wird, und dass man merkt, dass es einfach auch eine schlaue Idee ist. Und ich sage nur demografischer Wandel. Wir haben eine Gesellschaft, die zunehmend älter wird, mit den altersbedingten Einschränkungen noch dazu. Und das Thema Barrierefreiheit ist einfach etwas, das ist gut für alle Menschen, das ist ja keine Sonderleistung, die jetzt nur für einen kleinen Personenkreis klug wäre. Insofern, ja, ich würde mir wünschen, dass wir in Schleswig-Holstein, ähnlich wie in anderen Bundesländern auch, eine Landesfachstelle für Barrierefreiheit mal einrichten. Ich habe da gemeinsam mit dem Landesbeirat für Teilhabe hier in Schleswig-Holstein entsprechende Papiere erstellt und die Signale, die wir so bekommen aus der Landespolitik, aber auch von anderen Stellen. ist so, dass wir da ganz zuversichtlich sind, dass wir vielleicht schon im kommenden Jahr damit an den Start gehen können, um zumindest auch eine Art Kompetenzzentrum in Schleswig-Holstein zu haben, um das insbesondere für öffentliche Stellen zunächst mal unterstützen kann, Barrierefreiheit herzustellen. Also da bin ich auch ganz zuversichtlich und freue mich drauf, dass das Thema auf alle Fälle weitergeht. Aber ja, wir haben natürlich auch noch da einige Baustellen im wahrsten Sinne des Wortes. Und ein wesentliches ist das Thema Mobilität, öffentlicher Personennahverkehr. Schienengebundener Verkehr gleichermaßen. Da wünsche ich mir doch deutlich mehr Bemühungen. Und da würde ich mir eben vom Land Schleswig-Holstein wünschen, dass überall dort, wo öffentliches Geld in die Hand genommen wird, es zwingend an das Kriterium Herstellung von Barrierefreiheit oder Gewährleistung von Barrierefreiheit einfach zwingend mit dabei sein muss. Das würde auch dem Koalitionsvertrag eigentlich entsprechen, der ja Inklusion als Querschnittsziel ganz klar formuliert hat. Und da gehört Barrierefreiheit eben wesentlich dazu.

00:35:01 Sascha Lang

Wir haben jetzt schon Streifzug durch viele Bereiche gemacht. Was würdest du sagen, was in Zukunft für dich die nächsten drei Jahre so die Herausforderungen oder die Baustellen, hast du ja schon gesagt, von barrierefrei, da bleiben bei Baustellen, die die großen Herausforderungen sind, was würdest du da hervorheben?

00:35:20 Michaela Pries

Ja, was würde ich hervorheben? Das soll ich schon sagen. Es sind tatsächlich, es sind tatsächlich. Naja, das kommt daher, dass ich mich natürlich in den vergangenen drei Jahren in meinem Amt sehr, sehr intensiv einfach um ganz unterschiedliche Themen gekümmert habe. Und wirklich in allen Bereichen stöbere und schaue. Und ich habe eben gerade schon benannt, Thema Mobilität ist natürlich ein Thema. Das Thema Pflege ist ein großes Thema, was insbesondere eben auch Menschen in der eigenen Häuslichkeit, aber auch in Einrichtungen der Eingliederungshilfe sehr betrifft. Darum müssen wir uns kümmern. Wir haben das Thema Bildung, wir haben das Thema Arbeit, wir haben ganz wichtig das Thema Wohnen insgesamt. Also wie kriegen wir eigentlich das Bundesteilhabegesetz, selbstbestimmte gleichberechtigte Teilhabe und dann das Thema Wohnen umgesetzt, wenn wir sehen, es konkurrieren unterschiedliche Personengruppen. Um eine ähnliche Art von Wohnraum, bezahlbar, barrierefrei, angebundener Nahversorgung. Wie kriegen wir es hin, angesichts von Personalnotständen, Assistenzen und Pflege dann auch zu gewährleisten, wenn wirklich wir Komplexeinrichtungen oder besondere Wohnformen sukzessive auflösen, Menschen ins eigene Zuhause, in die eigenen vier Wände ziehen. Wie kann Unterstützung da funktionieren, obwohl wir immer weniger Menschen haben, die das leisten können. Ich glaube, da sind ganz große, entscheidende Weichenstellungen, die uns sehr beschäftigen werden. Und ja, es gibt wirklich richtig viel z

Wie ist denn die Zusammenarbeit, bräuchte ich in Schleswig-Holstein, zwischen den verschiedenen Akteuren, die mit Inklusion zu tun haben? Schulen, Behörden, diverse Initiativen, der ZSL-Landesbindernbeauftragte, die Beiräte. Wie empfindest du die Zusammenarbeit? Das ist eine sehr intensive, da gibt es auch noch den SOVD, glaube ich. Es gibt ja so verschiedene Akteure auf verschiedenen Ebenen. Dann gibt es noch den BSVSH und so weiter, den DVBS, um sie vielleicht mal komplett alle zu nennen. Wie findest du die Zusammenarbeit zwischen euch allen? Und was könnte man da vielleicht noch verbessern oder...

00:37:52 Michaela Pries

Also ich finde die Zusammenarbeit sehr gut, muss ich sagen. Wir haben das Glück, dass Schleswig-Holstein relativ klein ist und man sich in der Szene sozusagen kennt. Also egal, in welchen Landesteil ich gehe, ich schaue in bekannte Gesichter und ich schaue in Gesichter, die in anderen Gremien wiederum dann auch vertreten sind und es ist schon ein sehr enges und gutes Netzwerk und das Gute ist, dass man voneinander eben weiß und dass man sich gegenseitig auch informiert und auch um Unterstützung bittet. Was natürlich die Gefahr ist, wenn wir sehr viele unterschiedliche Player haben, die sich um gleiche Themen kümmern, dass wir Parallelstrukturen haben und ich glaube, das ist sehr herausfordernd zu schauen, wer ist eigentlich wo gerade dran, wo können wir auch Kompetenzen gemeinsam nutzen. Ich arbeite ja auch, ich bin auch persönlich Mitglied in den beiden großen Sozialverbänden, zum Beispiel in Schleswig-Holstein, um einfach da auch persönlich diese Verbindungen nochmal zu haben. Und wir haben über die kommunalen Beauftragten, über den Teilhabebeirat und über andere, wir haben ja überall immer wieder Multiplikatoren, Multiplikatoren, die also die Themen und das Wissen und die Informationen immer wieder in ihre Gremien mitnehmen und aus ihren Institutionen auch wieder an uns zurückgeben. Und ich komme mir manchmal vor wie so eine große Informationsbörse und ich staune, obwohl das so ist, wie ich es gerade beschrieben habe, es immer noch… auch sehr prominente Organisationen gibt, die voneinander nicht wissen, dass sie an den gleichen Themen dran sind. Und da ist eine ganz entscheidende Aufgabe auch bei mir, eben auch Institutionen und Menschen zusammenzubringen und Kräfte zu bündeln. Aber es bringt wahnsinnig viel Spaß. Also es ist ganz toll, weil das ist das, worüber wir auch sprachen: Wie geht es den Menschen, die behindert werden, in Schleswig-Holstein? Und wenn ich auf diese Landschaft gucke, muss ich sagen, bestätigt sich mein Eindruck, Menschen kennen ihre Rechte besser, sie kennen sich untereinander besser, sie organisieren sich besser, sie werden lauter. Sie sind einfach viel, viel stärker als Gemeinschaft geworden. Und das finde ich ganz großartig, dass es so läuft.

00:40:41 Sascha Lang

Wir haben es vorhin schon mal kurz angedeutet, dass Menschen mit Behinderung, wenn sie ihre Rechte haben wollen oder ihre Rechte umsetzen wollen, sehr schwierige Wege gehen müssen. Ich würde von Bergen sprechen, was in einem Flachland wie Schleswig-Holstein natürlich sehr bildlich zu sehen ist. Aber trotzdem hat man das Gefühl, man müsste sehr viele Hürden überspringen, Gerichtsverfahren und so weiter haben wir schon vorher angesprochen. Was wünschst du dir denn von der Landesregierung oder eventuell sogar auch vom Bund, dass man dieses Schwierige, was Menschen mit Behinderungen ja durchleben müssen, um ihre Rechte zu erlangen, dass man das vermindern kann? Weil das ist ja wirklich, man hat ja mit seiner Behinderung schon genug zu tun und man hat das Gefühl, dass man dann noch behindert wird, wenn man seine Rechte haben will. Was verlangst du da von der Landesregierung, vom Bund oder von wem auch immer? Sag, was brauchen wir?

00:41:35 Michaela Pries

Also erstmal brauchen wir aus meiner Sicht Stellen, die zunächst einmal vermitteln. Schlichtungsstellen, Ombudstellen, also Stellen, die wirklich auch erstmal übersetzen, worum geht es eigentlich. Ich werde da häufig auch in Anspruch genommen, wenn sich Konflikte zeigen, um einmal auch zu klären, worum geht es eigentlich.Denn das ist in diesen Konflikten sehr häufig unklar. Ähnlich ist es bei der Bürgerbeauftragenden - der Samia El-Samadoni - in Schleswig-Holstein, mit der ich sehr eng zusammenarbeite, die ja immer dann zum Zuge kommt, wenn wir bereits in rechtlichen Verfahren sind, wenn es bereits Widersprüche gibt und man dort dann nochmal wieder in die nächste Runde geht. Erstmal glaube ich, ist es wichtig, eine bessere Verständlichkeit auch zu schaffen. Da sind wir wieder bei Barrierefreiheit auch in Behördensprache, in Unterlagen, in Anträgen. Es ist sehr kompliziert, es ist sehr komplex und wir brauchen aus meiner Sicht - und das wäre mein dringender Wunsch an Politik auf welchen Ebenen auch immer - dass wir das Prinzip „Unterstützung, Leistung aus einer Hand“, dass wir das wirklich konsequent umsetzen. Es kann nicht sein, dass für einen Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen in unterschiedlichen Lebensbereichen so viele unterschiedliche Stellen zuständig sind und es um Kostenfragen geht und man immer wieder in die nächste Runde gehen muss und vor Gericht gehen muss. Viele haben dann schon aufgegeben und schaffen das einfach nicht mehr, weil sie, wie du es gerade richtig sagtest, so belastet schon sind, dass sie es einfach nicht mehr schaffen. Da braucht es viel niedrigschwelligere Möglichkeiten. Und diese Verantwortung, dass das wirklich eine Unterstützung aus einer Hand, dass Leistungen da gewährt werden, diese Verantwortung muss abgegeben werden dürfen, wenn man es denn möchte. Ja, es gibt auch Menschen, die möchten das nicht. Das ist auch in Ordnung. Aber wir haben ein viel zu aufgefächertes, komplexes Unterstützungssystem und unsere Gesetze sind nicht miteinander harmonisiert. Bundesteilhabegesetz als Artikelgesetz. Wir denken ja mal alle, das ist ein Gesetzbuch. Nein, das ist ein Artikelgesetz aus unterschiedlichen Bereichen und die Anknüpfung an andere Rechtskreise hat ja noch gar nicht stattgefunden. Eine Forderung von mir zum Beispiel auch, das SGB V zum Thema Pflegeleistung, dass wir da endlich mal zu einem Ergebnis kommen. Das würde viel Ärger und Leid ersparen, wenn Menschen, die in besonderen Wohnformen leben, endlich mal Leistungen aus dem SGB V zum Thema Pflege in Anspruch nehmen könnten. Davon sind sie jetzt ausgeschlossen. Ja, also Komplexität rausnehmen, vereinfachen, das erstmal so als rote Linie, als große Linie, das wäre mein Wunsch. Damit wäre allen geholfen, damit wären Verwaltungen entlastet, aber vorrangig wären einfach die Menschen, die behindert werden, entlastet von ganz, ganz viel unnützten Papierkram und letztlich auch einem Klageweg.

00:44:50 Sascha Lang

Wer den IGL-Podcast kennt, der weiß, dass wir natürlich auch schwere Themen ansprechen. Das haben wir in dieser Ausgabe natürlich auch wieder gemacht. Aber dass wir zum Schluss, also so hinten raus, immer ein bisschen positiver werden wollen, damit die Hörer mit einem Schmunzeln oder einem zufriedenen Blick und natürlich auch meine Interviewpartner mit einem zufriedeneren Blick rausgehen. Es gibt sicherlich ganz viele tolle Initiativen in Schleswig-Holstein, die die Inklusion fördern, die Menschen mit Behinderungen bereits mit an die Hand nehmen. Hättest du da ein, zwei, die du uns erzählen könntest? Oder auch natürlich die Frage, welche Initiative oder welches Programm würde dir noch so schön in das Portfolio des Landes Schleswig-Holstein passen?

00:45:37 Michaela Pries

Ja, ich gucke ja gerne strukturell. Also ein Projekt in Schleswig-Holstein ist zum Beispiel das Institut für inklusive Bildung an der Christian-Albrecht-Universität, wo Bildungsfachkräfte. Die selber - ich sage es jetzt mal andersrum als ich es sonst sage - mit einer Behinderung leben, ausgebildete Bildungsfachkräfte sind, die in der Lehre in einem angegliederten Institut der Christian-Albrecht-Universität Studierenden ihre Perspektive aus ihrem Leben mit einer Behinderung sozusagen darstellen. Und das hat enorme Wirkung und es ist ein tolles Projekt, was jetzt aus dem Projektstatus sozusagen raus ist, was es mittlerweile in anderen Bundesländern auch gibt. Das ist geboren in Schleswig-Holstein und geht in die Welt. Das ist zum Beispiel ein Projekt, das finde ich ganz großartig. Und davon würde ich mir mehr wünschen. Ich finde Projekte wie Ex-Innen-Genesungsbegleitung, also Menschen zum Beispiel, die Psychiatrie erfahren sind, die dann durch eine Fortbildung, Weiterbildung zu Genesungsbegleitern, selbst in dem Genesungs- und Begleitungsprozess von Menschen mit psychischen Erkrankungen arbeiten und dort einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Das sind genau diese Themen und das sind diese Maßnahmen, die ich großartig finde. Weil wir an dieser Stelle, tut nicht jemand etwas für Menschen, die behindert werden, sondern wir gemeinsam tun etwas. Teilhabe und Teilgabe, das sind so diese beiden Beine, auf denen wir ja stehen. Teilhabe bedeutet ja auch Teilgabe, nämlich Menschen, die behindert werden, gestehen. Und geben ganz viel rein. Teilhabe und Inklusion kann ja nur funktionieren, wenn beide Seiten sozusagen geleistet werden und ermöglicht werden. Und ja, das sind einfach so meine Highlights, über die ich mich dann freue.Und da gibt es sicherlich auch noch viel, viel mehr. Aber es gibt unheimlich tolle, engagierte Menschen, die wirklich was auf die Beine stellen. Und das finde ich großartig.

00:48:06 Sascha Lang

Ich glaube, das erste Projekt, was du erzählt hast, hat mir mein Assistent erzählt. Ist das in Flensburg die Uni?

00:48:12 Michaela Pries

Nee, die sitzen hier in Kiel tatsächlich. Sie werden unterstützt auch durch Flensburg, ich sitze dort auch im Beirat und kann die Arbeit ein Stück weit mit begleiten und unterstützen. Aber vor allem lerne ich wahnsinnig viel selber.

00:48:32 Sascha Lang

Also es ist wirklich ein ganz tolles Projekt. Die Anfrage, das Projekt vorzustellen, ist übrigens per E-Mail schon vor einigen Wochen, vor zwei Wochen, glaube ich, rausgegangen. Also das kommt definitiv auch noch in den IGEL-Podcast. Wir sind fast am Ende, die Frage Nummer 12, weil Schleswig-Holstein hatte 12 Fragen, die anderen haben nur 11 gehabt, aber das liegt am Landesblindengeld. Vielleicht, jedes Bundesland hat ja noch immer die Möglichkeit, wenn ich sie interviewe, mir so noch irgendwas zuzuschustern, was unbedingt in den Podcast muss, um Finger draufzulegen. Zum Schluss, als allerletztes, bist du seit dreieinhalb Jahren dabei. Du hast jetzt noch drei Jahre prinzipiell vor dir oder noch ganz viel mehr. Die Glaskugel, die berühmte beim IGEL-Podcast, kommt jetzt zur Geltung. Was wünschst du dir persönlich für dein Amt?

00:49:18 Michaela Pries

Ja, am allerliebsten wäre mir eine Schlagzeile in den Medien, eine richtig fette Schlagzeile, Mission erfüllt, Beauftragtenwesen für Menschen mit Behinderungen ist beendet. Das wäre wirklich, das wäre mein Traum, das werde ich aber nicht mehr erleben, da können wir sicher sein. Aber das wäre natürlich das, was wir, glaube ich, alle als Beauftragte denken. Schade, dass es uns braucht. So toll es ist, dass wir das machen dürfen. Es ist ein Privileg, sich so einsetzen zu dürfen und es tun zu dürfen. Aber schade, dass es uns braucht. Das ist eigentlich positiv und ein bisschen nachdenklich zugleich.

00:50:01 Sascha Lang

Michaela, herzlichen Dank für deine Zeit, viel Erfolg und weiterhin so vieles Herzblut und Engagement. Dankeschön.

00:50:07 Michaela Pries

Ich bedanke mich herzlich bei dir.

00:50:11 Sascha Lang

Den Link zu der Landesbehindertenbeauftragten in Schleswig-Holstein gibt es in den Shownotes und wir hoffen, dass sich in Schleswig-Holstein einiges Mal demnächst wieder lösen wird, damit auch das Land Schleswig-Holstein nicht mehr an letzter Position sein soll, was das Blindengeld anbelangt. Wir sind gespannt, was da passiert - „Stay tuned“, würde man in Amerika sagen. Also bleib dran. und der nächste Landesbindenbeauftrag, der kommt bestimmt. Wir wissen nicht ganz, ob wir den ersten und letzten Sonntag im Monat immer einbehalten können, weil für den Dezember habe ich noch keine Anmeldung für ein Gespräch. Aber lasst euch einfach überraschen. Ansonsten gibt es halt mehrere Ausgaben in einem Monat. Wir werden definitiv unsere Serie im Mai abschließen. Das ist so klar wie Kloßbrühe. Bis dahin alles Gute, euer Inklusator Sascha Lang. Das war es für die Episode 214 vom IGL-Podcast IGL-Inklusion. Ganz einfach leben. Ciao, ciao.

00:51:09 Weibliche Stimme

Für den Inklusator Sascha Lang bedeutet Inklusion, Inklusion ist ein Gesellschaftsprojekt. Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazugehört. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Inklusion heißt teilhaben. Wir möchten dich mit unserem Podcaster zu motivieren, bereits jetzt an der Gesellschaft teilzunehmen. Denn nur so können Barrieren abgebaut werden. Barrieren, die nicht nur im Alltag bestehen, sondern auch in den Köpfen. Lasst uns diese gemeinsam abbauen!

00:51:52 Männliche Stimme

Das war der Podcast Igel - Inklusion ganz einfach leben mit eurem Inklusator Sascha Lang.

Mehr Informationen gibt es unter www.inklusator.de.igelmedia.de.

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